
Heute vor 95 Jahren, am 27. Mai 1923, wurde der „Volkspark Jungfernheide“ offiziell zu den „Spiel- und Sportwochen“ im Bezirk eröffnet.
Zunächst ein Teilbereich mit dem Schwimmbad, der Vollausbau war 1927 fertiggestellt.
Heute ist der Park ein wichtiges Erholungsgebiet für Charlottenburg-Nord und Siemensstadt. Tatsächlich hat die Anlage trotz der räumlichen und zeitlichen Nähe (gekauft wurde das Areal schon im Jahre 1904) absolut nichts mit Siemens zu tun.
Der Park gehört zur ursprünglichen Planung der damals eigenständigen Stadt Charlottenburg für dieses Areal. Wäre es zur Ausführung dieser Pläne gekommen, gäbe es die Siemensstadt sicherlich nicht und auch Charlottenburg-Nord sähe völlig anders aus. Die Entscheidung darüber fiel im Jahre 1908.
Charlottenburg war seinerzeit nicht nur eine eigenständige Stadt, es war die reichste Stadt in Preußen. Die damaligen Steuergesetze waren so beschaffen, dass wohlhabende Bürger auch ein gut gefülltes Steuersäckl garantierten. Charlottenburg wollte daher die Ansiedlung gut situierter Einwohner fördern. Die Siedlung um den Lietzensee und der Ausbau der Bismarckstraße zur Prachtstraße waren, erneut, sehr erfolgreich verlaufen. Die Ausdehnung Charlottenburgs war allerdings begrenzt. Natürlich verfolgten die benachbarten Städte, wie beispielsweise Wilmersdorf, ähnliche Ziele. An einen Ankauf von weiterem Gelände war daher nicht zu denken – außer im Norden. Im Jahr 1904 erwarb Charlottenburg vom Forstfiskus das Areal des heutigen Charlottenburg-Nord. Damals ein unerschlossenes Wald- und Wiesengebiet.
Spandau hingegen war eine arme Stadt. Sie hatte kaum einkommensstarke Bewohner oder eine gesunde Industrieansiedlung. Einzig vom militärischen Fiskus sind diverse Bauten auf Spandauer Land erstellt worden. Da es jedoch Anlagen zur Landesverteidigung waren, durften keine Steuern darauf erhoben werden. Und als wenn das noch nicht reichte, durften in einem gewissen Umkreis um die Zitadelle herum keine höheren, die freie Sicht behindernden, Bauten erstellt werden.
Die Ansiedlung eines vielversprechenden, schon erfolgreichen Industriebetriebes mit kontinuierlicher Steuereinnahme war daher mehr als erstrebenswert. Dieses Unternehmen, Siemens, baute nun eine erste Produktionsstätte auf dem sogenannten „Hühner Werder“, dem südlichsten Teil einer Exklave von Spandau und plante weitere. Diese Exklave war umgeben vom Kreis Niederbarnim im Norden, dem Gutsbezirk Sternfelde im Westen und im Süden begrenzt durch die Spree.
Der östliche Teil hingegen grenzte nun direkt an Charlottenburg. Dessen neuer Grunderwerb beruhte auf den Plänen für die weitere „Schaffung von freundlichen und gesunden Wohnungen für gehobene Beamte, Rentiers und Pensionäre und für den Mittelstand“ und stand damit in völligem Gegensatz zu dem Ziel einer großen Industrieansiedlung mit Wohnungsbauten für Arbeiter und Angestellte. Diese zudem in direkter Sichtweite des geplanten Nobelviertels. Vom zu erwartenden Verkehrsaufkommen von Arbeitern und Güterverkehr, die ruhige Siedlung querend, ganz zu schweigen.
In den folgenden vier Jahren versuchte Charlottenburg alles nur erdenkliche an Boykottmaßnahmen um die Erweiterungsplanung von Siemens zu verhindern. Der Maßnahmenkatalog alleine bietet Stoff für einen ganzen Artikel. Eine der subtileren Methoden (und es gab wahrlich andere) war die schnelle Erstellung eines Bebauungsplans der neuen Charlottenburger Siedlung um „die Schaffung lästiger Anlagen in Nachbargemeinden zu verhindern“. Zudem ließ Charlottenburg seine Kontakte spielen und der „großartige“ Plan erhielt die „Allerhöchste landesherrliche Genehmigung Wilhelms II.“.
Hiermit erhoffte man sich den Magistrat zu überzeugen die daraus resultierenden Fluchtlinien auf Spandauer Seite zu respektieren. Dies war durchaus üblich und hätte unter normalen Umständen auch Sinn gemacht. Jetzt hätte es schlichtweg jegliche Erweiterung seitens Siemens unterbunden. Ganz nebenbei hätte Charlottenburg eine stärkere Grundlage für eine spätere Klage auf Eingemeindung der Exklave und der Umgegend gehabt.
Auf Spandauer Seite wollte man die Eingemeindung des Gutes Sternfelde und des südlichen Teils von Niederbarnim ebenso vorantreiben. Die Exklave sollte mit der Stadt Spandau verbunden werden. Absurde Zustände wie etwa ein Siemens-Gebäude in Spandau (Exklave) zu betreten und am anderen Ende in Sternfelde herauszukommen bedeutete eine Unmenge an administrativen Aufwands (Baugenehmigungen, usw.), sowie den anteiligen Verlust der Steuereinnahmen.
1908 schließlich entsprach der Magistrat dem Antrag Spandaus. Die Entscheidung basierte darauf, das Siemens schon Anlagen gebaut hat, weiter baute und schlüssig die Erweiterung darlegte – zusammen mit einer ausgearbeiteten Finanzierung. Charlottenburg hingegen hatte nur Zeichnungen vorgelegt und durch keinerlei Bautätigkeit die Ernsthaftigkeit der Pläne untermauert.
Seither verlaufen die Grenzen Spandaus (mit kleinen Änderungen) so, wie wir sie heute kennen und die Siemensstadt bekam 1914 ihren Namen. Charlottenburg sah ein, dass die weitere Verfolgung der ehrgeizigen Erschließungspläne keinerlei Sinn mehr machte und gab sie – zusammen mit dem Boykott gegenüber Siemens – auf.
Die Erstellung des Volksparks besaß nun allerdings auch keinerlei Wichtigkeit mehr. Zwar gefiel die Idee für den Park noch immer, wurde in Bebauungsplänen weiterhin berücksichtigt, die Ausführung aus Kostengründen jedoch immer wieder hinausgezögert. Dann kam der Erste Weltkrieg und anschließend die Eingemeindung zu Groß-Berlin dazwischen. Erst 1921, durch die Gründung der Stiftung “Park, Spiel und Sport”, konnten Sponsorengelder für den Baubeginn eingeworben werden. Gartendirektor Erwin Barth legte den Volkspark kurz darauf als Landschaftspark an.
Gibt es heute noch Spuren der Charlottenburger Planungen?
Wie erwähnt, existierte die gesamte Nobelsiedlung ausschließlich als Plan, es wurde nicht ein einziger Stein verbaut (allerdings ist sie in zeitgenössischen Stadtplänen eingezeichnet). Einige Ideen aus den Plänen sind durchaus in die spätere Bebauung von Charlottenburg-Nord und sogar in Siemensstadt eingeflossen. Die drei Wichtigsten:
– Der Verlauf der damals geplanten „Straße 43“ entspricht ziemlich genau dem heutigen Popitzweg, der Fortführung als Grünstreifen (über dem U-Bahntunnel) und in gerader Linie weiter bis zur heutigen Autobahn in den Wedding. Zunächst umbenannt in „Holtzweg“, sollte es eine Hauptverbindung nach Berlin werden, in einer Dimension etwa gleich zur Nonnendammallee (daher liegt die alte Siemensbahn über dem jetzigen Popitzweg länger als nötig auf Viadukten auf, fängt der Wall spät an: Platz für die breite Straße). Albert Speer übernahm diese Planung für seine Umgestaltung der Siedlung Charlottenburg-Nord und Hans Scharoun mußte 1955 den Bereich für die Trassenführung der U-Bahn freihalten.
– Die geplante „Straße 45“ wurde zum Siemensdamm (dem ersten Verlauf, der jetzt zum Teil unter der Auffahrt zur Stadtautobahn begraben liegt).
– Die wohl unbekannteste Spur ist der heutige „Wilhelm-von-Siemens-Park“. Nachdem Charlottenburg sich, gemäß seiner Langzeitplanung, u.a. die Spandauer Exklave und das Gut Sternfelde eingemeindet hätte, wäre eine etwa 200m breite „Parkstraße“ in großem Bogen vom Grunewald über Ruhleben zur Jungfernheide errichtet worden. Prachtvoll und beidseitig von Gartenanlagen gesäumt, hätte sie die Villenviertel verbunden und weitere erschlossen. Das Gebiet des Parks war das einzige Zugeständnis des Magistrates an die Pläne Charlottenburgs. Spandau (also in erster Linie Siemens) musste sich verpflichten in diesem Bereich – nahe des Jungfernheideparks – keine Industriebauten zu errichten und die (dann als Wilhelm-von-Siemens-Park benannte) Grünfläche zu erstellen. Beide Entscheidungen waren nahezu identisch zu den vorhandenen Siemens-Plänen und stellten somit keinerlei Problem dar.
Wenn Sie das nächste Mal im Volkspark Jungfernheide sind, denken Sie daran:
Es hätte auch alles ganz anders kommen können.
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